Prof. Richard Funk, Präsident Dresden International University

»Mich begeistert die heutige Forschung deshalb auch immer mehr, weil man endlich kausale Zusammenhänge herstellen kann und sich nicht mehr so stark auf Erfahrungsmedizin stützt.«
Prof. Richard Funk
Prof. Richard Funk, Leiter des Instituts für Anatomie an der Medizinischen Fakultät Carl-Gustav-Carus,
Technische Universität Dresden
Interview:
Herr Prof. Funk, in der Vergangenheit haben Erfindungen deutscher Experten der Augenheilkunde entscheidende Impulse gegeben. Welche sind für Sie auch heute noch von wegweisender Bedeutung?
In diesem Zusammenhang fallen mir Hermann von Helmholtz, mit der Erfindung des Augenspiegels, Albrecht von Graefe mit der Operation des grünen Stars und Eduard Zirm, mit der ersten Hornhauttransplantation 1905 ein. Hinzu kommen noch Theodor von Leber, der im 19. Jahrhundert die Augengefäße intensiv untersucht und damit die Gefäßdarstellung am Augenhintergrund vorangebracht hat sowie Gerhard Meyer-Schwickerath mit der Photo- und Lichtkoagulation als dem Vorreiter des Lasers. Das sind historische Erfindungen, die bis heute nachwirken.
Sehen Sie aktuell bahnbrechende Entwicklungen in der Augenheilkunde, die mit den Erfindungen der Vergangenheit schritthalten können?
Aktuelle bahnbrechende Erfindungen sind für mich die optische Kohärenztomografie (OCT), die Wavefront correction, mit der man Unebenheiten in der Darstellung des Bildes ausgleichen und am Computer „wegrechnen“ kann. Dadurch lassen sich klare Bilder erzeugen. Diese Erfindungen können leicht mit den Erfindungen der Vergangenheit mithalten, weil sie einen Einblick bis in die mikroskopische Ebene erlauben. Bahnbrechende Erfindungen in der Zellbiologie und Biochemie sind die VEGF-Hemmer und die Hemmung von Entzündungen durch Kortison, das auch heute immer noch seine Berechtigung hat.
Sie engagieren sich in der unabhängigen Expertenkommission des Deutschen Förderprogramms für Augenheilkunde von Bayer. Wie stufen Sie selbst die Bedeutung dieses Förderprogramms ein und was ist Ihre Erwartung?
Ich wünsche mir, dass man mit dem Förderprogramm nicht nur Theoretiker wie mich für die ophthalmologische Forschung begeistert sondern auch junge Kliniker. Ich bekomme es immer wieder von Kollegen aus der Klinik mit, dass Forschung unter den heutigen Rahmenbedingungen zunehmend schwerer wird. Man benötigt ein Netzwerk von Spezialisten in Biochemie, Zellbiologie, Stammzellbiologie usw., um überhaupt noch etwas ausrichten zu können. Das schreckt viele junge Kliniker ab, in dieses komplizierte Forschungsnetzwerk einzusteigen. Die finanziellen Anreize durch Spezialisierung in eigener Praxis sind groß. Diese Ärzte sind für die Forschung quasi verloren. Mich begeistert die heutige Forschung deshalb auch immer mehr, weil man endlich kausale Zusammenhänge herstellen kann und sich nicht mehr so stark auf Erfahrungsmedizin stützt.
Mit diesem Förderprogramm werden junge Leute zu einem interdisziplinären Programm eingeladen. Diese erkennen, was an kompetitivem Wettbewerb läuft und sie sehen, wo es Kollegen gibt, die auch relevante Forschung betreiben. Heute ist die Vorbildfunktion großer Leitfiguren in der Augenheilkunde weniger stark ausgeprägt als früher. Aktuell gibt es mehr Abteilungen und Unterspezialisierungen. Damit ist auch die Forschungslandschaft heterogener geworden. Früher konnte man eine Karriere über 10 Jahre in einem größeren Haus entwickeln und wurde immer wieder zu neuen Ideen angestoßen. Derzeit werden in der Forschung allgemein ganz schnell Gruppen von Jungwissenschaftlern gebildet. Da ist eine Linie oftmals noch nicht richtig entwickelt. Förderprogramme wie das von Bayer können wieder für aktuelle Themen sensibilisieren, die auch längerfristig einen Sinn geben.
Welcher wichtigen Herausforderung muss sich der forschende Ophthalmologe von heute stellen?
Eine Herausforderung stellt die Komplexität der Forschungslandschaft dar. Deshalb muss sich ein forschender Ophthalmologe mit Netzwerkbildung anfreunden. Es ist ganz wichtig, dass er an seiner Uni, seinem Institut oder außeruniversitär Ausschau hält, um zu erkennen, was in seiner Umgebung passiert. Er muss sich selbst ein Netzwerk aufbauen, muss ein Bündel von Methoden entwickeln, um seinen Fragestellungen nachgehen zu können. Das ist heutzutage extrem wichtig. Allein kann man heute wenig ausrichten. Internationale Zusammenarbeit ist immer stärker gefragt.
Wie ist Ihre Erwartung bezüglich möglicher Innovationen innerhalb der Augenheilkunde in den kommenden fünf Jahren?
Es ist wichtig, Erkrankungen im Frühstadium zu erfassen. Dahin muss sich die Medizin von heute noch mehr entwickeln. Unsere Medizin ist zu sehr auf Reparatur ausgerichtet. Ist etwas kaputt – aber auch erst dann – geht man zum Arzt, der etwas reparieren soll. Aber wenn wir es mit Geweben zu tun haben, für die es keinen natürlichen Nachschub gibt, wie beim Nerven- und Augengewebe, dann haben wir ein Problem. Dazu kommt, dass der Körper Störungen sehr lange kompensieren kann und erst, wenn Zweidrittel und mehr von einem Gewebe untergegangen sind, macht sich ein Ausfall klinisch bemerkbar. Dann ist es meist zu spät. Deshalb bin ich für Screening-Untersuchungen mit modernen Methoden. Natürlich ist die Aufklärung der Bevölkerung extrem wichtig. Entwicklungen müssen in Richtung feinere Sensoren gehen, um Krankheiten früher zu erkennen. Hier spielt die Miniaturisierung eine wichtige Rolle und auch die Datenübertragung via z. B. Smartphones an die richtige Facharztstelle. Dabei gibt es allerdings auch datenschutzrechtliche Probleme zu lösen.